Gesehen und gelesen – November 1996

Die Tage werden länger, das Laub ist gefallen und abends wird es schneller dunkel. Trotzdem können wir neue Entdeckungen machen und interessante Einblicke gewinnen.

Dazu gehört die ziemlich verblüffende Tatsache, dass vor wenigen Tagen zum ersten Mal in der deutschen Presse in der gleichen Woche in drei verschiedenen Zeitschriften Beiträge zu lesen waren, die sich mit der TV/TS-Szene beschäftigten. Im Stern wurde der neue Bildband der Photographin Panja Jürgens besprochen, der unter dem Titel »Transformations« dieser Tage in den Buchhandel gekommen ist. Im Spiegel fand sich eine nette Schilderung der männlichen Drag Queens (»Alles noch bunter«), die nun nicht mehr nur in England oder den USA zu bewundern sind, sondern auch in Deutschland ihre schrillen Typen in die Szene einbringen, so zum Beispiel in Berlin. Die dritte Publikation war der Focus, in dem ein recht nettes Interview mit Lilo Wanders abgedruckt wurde unter dem Titel: »Mrs. Doubtfire für Große«. Wenn man dazu noch die verschiedenen Auftritte in Fernseh-Talk-Shows unterschiedlicher Qualität dazu rechnen würde, dann entsteht der Eindruck: zumindest in der deutschen Medienöffentlichkeit bietet man erheblich genauere Informationen über diese Lebensformen an, und sie sind auch durchaus breiter gestreut, als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Ist deswegen schon alles okay ? Sicherlich nicht… aber

Erstaunlich ähnliche Beobachtungen wie bei den Publikationen kann man dieser Tage auch für die Bühne machen. Damit meine ich nicht nur die bekannten Programme in einschlägigen Cabaretts, etwa im sturmerprobten Pulverfass zu Hamburg (ein böses Abzockeretablissement, Anm. d. Abtipperin), oder oder die Auftritte der baumlangen Mary – die immer grössere Hallen mit ihren neuesten Nummern zu füllen hat – sondern es gibt so etwas auch im sonstigen künstlerischen Theaterleben. Etwa bei Pina Bausch, die in Wuppertal im Mai im neuen Tanzstück einen der männlichen Stars als Marilyn Monroe auf die Bühne schickte. Noch mehr Aufsehen erregte der Regisseur Frank Castorf, als er in einer Inszenierung des »Teufels General« in der Volksbühne (Berlin) schon im ersten Akt vier Rollen mit »cross-casting« besetzt. Die markante Figur des Generals spielt Corinna Harfouch, den Kulturleiter Sophie Ries, während zwei Damen von Schauspielern gelebt werden! Ob erfolgreich – das kann nur beurteilen, wer die Aufführung gesehen hat.

Aber nochmals zurück zum Bücherregal. Der bereits erwähnte Photoband von Panja Jürgens ist ein prima Kunstwerk. In Großformat, 210 Seiten schwer und mit vielen Abbildungen – allerdings in schwarz/weiß. Die Photographin lebt schon seit fünf Jahren monatelang in New York und dann wieder in Zürich. Seit 1990 hat sie ihre eigenwillige Art entwickelt, amerikanische Drag Queens auf das Negativ zu bekommen. Sie hält jeweils auf einem einzigen Kleinbildfilm fest, wie aus dem Mann eine meist sehr gut gekleidete Frau wird. Der Titel des Bandes »Transformations« sagt in aller Knappheit genau das aus, was man da auf jeder Seite miterleben kann. Faszinierend und höchst kleidsam. Eigentlich gibt es nur einen dunklen Fleck auf dem sonst hellen Bild, das ist der Preis : 98.- Mark ist doch etwas viel verlangt und wird den Kreis derer, die sicherlich gerne darin blättern würden, erheblich verkleinern. Wer es sich leisten kann: Empfehlung.

Es gibt auch von anderen Erfahrungen zu berichten. In einer großen deutschen Illustrierten fand sich Anfang des Monats eine seltsame Story. Unter dem Generalthema »Rache der Frauen« wird auch von einer Unternehmergattin aus Darmstadt berichtet, 37 jahre alt, Ute T. Die musste eines Tages erleben, wie ihr Ehemann Uwe sein Doppelleben offenbarte. Die Beschreibung der Szene: blonde Perücke, rotlackierte Fingernägel, Chanel-Kostüm, Stöckelschuhe und tadelloses Make-Up. Danach erschien er zu Hause immer wieder neu gestylt, seine Frau sollte ihn Jaqueline nennen, und so wollte er Sex mit ihr haben. Das war ihr zuviel und sie beschreibt, wie sie ihren Rachefeldzug begann (nachdem er aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen war). Dazu gehörte die Versendung von »Uwe in sexy Dessous« etc. Schade, dass keiner den beiden hatte helfen können und etwa es zur Beratung gekommen wäre. Aber in jeder Stadt gibt es ja eine TV-Selbsthilfegruppe – oder ? (Anm. d. Abtipperin: Hier irrt die Autorin, denn dem ist längst nicht so. Wobei TS-Selbsthilfegruppen eine wesentlich größere Verbreitung haben.)

Noch ein kleiner Tip für die nächste Zeit: Anfang Januar 97 beginnt die Serie »Ein Mann steht seine Frau« bei RTL. Helmut Zierl (oje, ausgerechnet der … sarkastische Anm. d. Abtipperin) soll der Arbeitslose sein, der sich in eine Frau verwandelt um den Job als Sekretärin zu ergattern. Sein Kommentar: er findet Kleidung und Schuhe der Frauen seien zu unbequem. Naja, Ansichtssache, meine ich…

So long – von hier zu Dir.

RITA / Bremen

Abgetippt von Chantal am 19. 12. 1996


Seite angelegt am 21.11.2004, zuletzt geändert am 01.09.2005.