Gesehen und gelesen – Mai 1995

Was haben eigentlich Mary und Dr. Wussow gemeinsam? Einen Fernsehauftritt am Muttertag-Abend zur besten Sendezeit! Im Fall von Mary ging es um den Publikumsliebling »Musikantenstadl«. den sonst eher auf Volksmusik getrimmten Zuschauern wurde diesmal in einer Riesenhalle in Zürich dieser wie gewohnt schlagfertige und mit blendend schlanker Figur auftretende Travestie-Star dargeboten. Was für ein Einfall des bekannten Moderators, nach Mary den alternden Vico (Torriani; Anm. d. Abtipperin) aus Schweizer Gefilden auftreten zu lassen!

Da ging es doch etwas betulicher zu beim Programm des »Richters zum Küssen«. Hier ging es nicht um schnöde Unterhaltung, sondern um eine ganz edle Sache. Denn nur deswegen schlüpfte der gutherzige Amtsrichter in Damenkleidung (Größe 48 – so bezeugte er selbst). Er wollte seine Neffen und Nichten vor einem schlimmen Schicksal retten. Was als deutsche Filmkomödie angekündigt wurde, brachte den würdigen Dr. Wussow in diese seltsame Lage (natürlich ein Remake bekannter Filmvorlagen…). So kam es zum etwas irren Kleidertausch im Bürozimmer des Amtsgerichtes (mit Blick auf die sehr biedere Damen-Unterwäsche des Herrn Richters) und der durchaus unwahrscheinlichen Schnell-Verkleidung auf dem WC des Ballhauses. Während, rein fachlich betrachtet, das Make-Up wenig überzeugte, gab es wenigstens einige nette Garderoben zu sehen, wie etwa das Ballkleid oder das blau-weiße Kostüm. Trotzdem: Ein Riesenabstand zum Vollprofi Mary in dieser Hinsicht…

Was haben eigentlich Stern und Brigitte gemeinsam? Beide sind weitverbreitete Publikationen und beide brachten in letzter Zeit Berichte mit diversen Fotos über ungewöhnliche Gruppen in unserer Gesellschaft – einmal über ein Transvestiten-Treffen in den USA (Fantasy-Fair in der Brigitte) und über die Erlebnisse einer Berliner Transsexuellen (im Stern). Doch im zweiten Fall kann man sich nur enttäuscht abwenden, etwa so wie die Titelfigur des STERN. Dabei klang das Thema eigentlich interessant: »Die Lust am anderen Geschlecht«. Die danach gestellte Frage: »Ist Jürgen jetzt Eva?« wurde von Seite 48 ab behandelt. Schon im Untertitel wird ein Hinweis zur Beantwortung gegeben: dieser Jürgen habe sich zur Kastration entschlossen, »in der trügerischen Hoffnung, sein Leben zu meistern«. Damit wäre die Sache ja geklärt. Trotzdem führt uns die Autorin in einen semi-dokumentarischen Bericht. Sollte sie alle Bücher gelesen haben, die sie dann als »Literatur« anführt, dann stellt sich die Frage, warum sie gerade den Jürgen ausgewählt hat. Wenn dessen Gutachter nämlich eigentlich nicht von seinen Wünschen zu einer Operation überzeugt sind, wenn er selber ziemlich überheblich meint, die Selbsthilfegruppe in seiner Stadt könne ihm Nichts vermitteln, wenn er nur »weibliche Psyche« demonstriert und es ihm nach der Operation in mehrfacher Hinsicht schlecht geht – was war dann der Zweck dieses Berichtes? Hatte man sich vielleicht vorher schon vorgenommen, ein typisches Negativ-Beispiel vorzuführen? Dann sollte man dies aber auch deutlich aussprechen. Oder geht es der neuen Eva inzwischen erheblich besser? Auch dann sollten wir Leser davon etwas erfahren.

Es ist jetzt 42 Jahre her, daß mit dem amerikanischen Film »Glen oder Glenda« zum ersten Mal in einem Spielfilm eine Geschlechtsumwandlung dramaturgisch behandelt wurde. Allerdings war der Regisseur ein Edward Wood, der als ein völlig erfolgloser Filmemacher klassifiziert wird. Doch in diesen Wochen wurde ihm bei den Filmfestspielen in Cannes ein Streifen gewidmet (»Ed Wood«). Er soll ab Mitte Juli in unsere Kinos kommen. Ed Wood war selbst überzeugter Transvestit, und von seinem Biographen Rudolph Grey wird berichtet, daß Edward Wood als Soldat im 2. Weltkrieg stets weibliche Unterwäsche unter seiner Uniform trug.

In Paris spielt »Ich kann nicht schlafen«, in dem ein farbiger und homosexueller Transvestit (wiedermal das alte Vorurteil! / Anm. der Abtipperin) eine Rolle spielt. Dieser Film ist derzeit in verschiedenen Städten in den Kinos.

Zum Schluß ein Tip: Anfang Oktober soll es wieder ein Treffen für Transvestiten geben (die Herbstpromenade / Anm. der Abtipperin). Claudia und Eva (sowie Chantal / Anm. der Abtipperin) haben nähere Informationen.

Für heute : SO LONG !

RITA / Bremen

Abgetippt von Chantal am 19.06.1995


Seite angelegt am 21.11.2004, zuletzt geändert am 01.09.2005.