Gelesen und gesehen – Juni 1995

Nun wissen wir es genau. Viele Japaner möchten nicht gerne sein, was sie eigentlich sind. So jedenfalls kann frau die Umfrage verstehen, die dieser Tage veröffentlicht wurde. Frau hatte ca. 3000 Japaner befragt. Immerhin wollten 148 dieser Befragten lieber als eine Hausfrau wiedergeboren werden. Die Begründung : die könne mittags ein Schläfchen machen und habe am Tag drei geregelte Mahlzeiten!

Ernsthafter wird es, wenn ein Frankfurter Amtsgericht zu einem Urteil kommt, bei dem es ursprünglich um das Sorgerecht für eine Tochter geht, tatsächlich aber die Transsexualität des leiblichen Vaters die entscheidende Rolle spielt. Früher hatten die nun eigentlich getrennt lebenden Eltern das gemeinsame Sorgerecht. Nun aber wird die Geschlechtsumwandlung des Vaters in den Mittelpunkt gerückt. Er (jetzt als Lisa lebend), sei aufgrund der derzeitigen persönlichen Problematik »so sehr beschäftigt, dass dadurch auch die Frage der Kindeserziehung und Betreuung stark beeinflusst werde.« Interessant, dass im Gegensatz zu dieser Position das zuständige Jugendamt feststellte, dass von der fünfjährigen Tochter die Transsexualität des Vaters »in keinster Weise als gefährdend, bedrückend oder problematisch« erlebt würde. Nun gibt es hinsichtlich der besonderen Situation von TS-Vätern zu Kindern gewiss viel abzuklären, in diesem Fall ist jedoch vor allem wichtig: die endgültige Entscheidung steht noch aus.

Dies trifft nicht für zwei Bücher zu, die diesmal vorgestellt werden sollen. In deutscher Sprache liegt vor:

Titel: »Das dritte Geschlecht«, Autoren: Bader/Behnke und Back, Verlag: Rasch und Röhrig, Hamburg, 240 Seiten / 32.- DM. Ein sehr hilfreicher Band für alle Interessenten, die vorwiegend über Transsexualität informiert sein wollen. Dazu tragen die zahlreichen Interviews mit pre- und post-TS in Deutschland bei. Die Herausgeberin arbeitet in der AIDS-Stiftung-Hamburg mit und hat von dort her auch die meisten Biographien erstellen können, d. h. aus dem norddeutschen Raum. Wenn sie auch auch im Untertitel erwähnt werden, erfährt frau über Transvestiten recht wenig, außer einem Gespräch mit Claus/Claudia fast nichts. Dafür findet sich in der zweiten Hälfte (ab S. 185) ein ausgezeichneter »Ratgeber«, in dem die verschiedensten praktischen Fragen unter den Stichwörtern Coming-Out und Alltagstest bis hin zur bebilderten Schilderung der Operation verständliche Darlegungen anbietet. Interessant auch die Gespräche mit den »Fachleuten«. Einer von ihnen – Neurologe und Psychiater in Hamburg – gibt eine ausgewogene Meinung weiter, wenn er darlegt, er würde in den Beratungen versuchen zuerst die »Option Operation« zu umgehen und sie ganz hinten anstellen. Um so ärgerlicher ist es da, wenn es auf der nächsten Seite um den »Vergleich« von Transsexuellen und Transvestiten geht: »Ein Transvestit macht sich immer über Frauen lustig. Transvestiten sind ja fast immer Homosexuelle.« !!! Wie gut, dass die angefügte Adressenliste von Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen nun schon 20 Anschriften in ganz Deutschland umfasst. Vielleicht kann unser Hamburger Doktor da auch noch seine Erfahrungen und sein Wissen erweitern? Insgesamt: eine gute und empfehlenswerte Produktion.

Das trifft auch für ein TB in englischer Sprache zu: »Gender Outlaw«, Verlag: Vintage Books / New York; erschienen 1994 – 254 Seiten. Der Untertitel: One man, women and the rest of us. Ein in den USA bekannter Star ist die Autorin. Im Klappentext heißt es: sie sei ein erfolgreicher Mann gewesen IBM-Verkäufer und dann zur lesbischen Frau geworden. Sie wurde auch zur Schauspielerin und schrieb ein Stück, welches 1989 zum ersten Mal auf einer Bühne in San Francisco aufgeführt wurde. Erfrischend und völlig unkonventionell ihre Art der lustigen und nachdenklichen Erzählung ihrer Biographie. Sie fasst viele heiße Eisen an, die sonst in der TS-Szene oft verschwiegen werden. Insgesamt: Eine Lektüre, die zum Nachdenken anregt.

Und wer hat neulich (13.6.) den seltsamen Fall des »Papa trägt Frauenkleider« in der Reporter-Sendung des Ulrich Meyer gesehen? Die Story: in einem kleinen Ort Westfalens haben zwei Söhne ihren Vater verklagt wegen seines Verhaltens. Das würde ihre Freunde vergraulen und für die berufliche Laufbahn schädigend sein, so beklagten sie sich. Als der der Betroffene selbst und seine frühere Ehefrau auch noch auftraten – da wurde es dem informierten Zuschauer doch etwas mulmig.

So long – für diesmal.

RITA / Bremen

Abgetippt von Chantal am 16. Juli 1995


Seite angelegt am 21.11.2004, zuletzt geändert am 01.09.2005.