Gelesen und gesehen – April 1995

Es geht vor allem um die Tochter in dem Film aus Kanada, mit dem seltsamen Titel: »Das Geschlecht der Sterne«. Aber das mit den Sternen ist halt einer der vielen Gedanken, die durch die 13-jährige Tochter ausgedrückt wird, die ihrem verschwundenen Vater nachtrauert. Also – so ganz verschwunden ist er nicht. Vielmehr ging der bis dahin erfolgreiche Wissenschaftler nach New York, unterzog sich »der Operation« und steht nun eines Tages als Frau wieder vor Tochter und Ex-Ehefrau. So jedenfalls steigt der Film in die Schilderung von Beziehungen ein, welche vor allem diese drei Familienmitglieder aneinander binden und abstoßen.

Der Film tut dies mit sehr guter Fotografie und kräftigen Farben, obwohl es manchmal auch etwas stark nach »Studio« riecht. Natürlich interessiert besonders die Darstellung der neuen Marie-Pierre. Ein Schauspieler, der uns diese Frau sehr vorsichtig zeigt und eigentlich weniger auf überzogenen Kleiderfummel oder extremes Make-up abhebt. Er bleibt auch glaubhaft, als er sich in einer Schlußszene völlig überraschend kurz in den Pierre zurückverwandelt, der er einmal war. Meist geht es traurig oder gar tragisch zu, denn die Tochter will nicht loslassen von dem Trugbild, daß sie sich von dem fernen Vater gemacht hatte, und bei der Ex-Ehefrau schlägt die frühere Liebe in knallharten Haß um. Marie-Pierre aber kann sich von dem Bann zur Tochter nicht lösen, wird ihr zeitweise regelrecht unterwürfig und kann ihr offenbar nicht helfen zu verstehen, daß die früheren Zeiten endgültig zu Ende sind. Diese emotionalen Berg- und Talfahrten können durchaus wirkliche Erfahrungen verheirateter TS darstellen und sollten darum keiner TS-Selbsthilfegruppe erspart werden. Wer diesen Weg gegangen ist – oder gehen will – sollte sich unbedingt den Erlebnissen aussetzen, um zu prüfen, wie es im eigenen Leben zugeht.

Ach ja, die letzten 10 Minuten des Films! Da bleibt die Story unbefriedigend und es wird dem »normalen« Zuschauer sicherlich unerklärlich, warum Marie-Pierre nun doch dem Drängen der Tochter nachgibt, um … ja, man weiß es nicht, es scheint mir, als wenn der Film irgendwie enden mußte, aber warum so???

Sonst aber: unbedingt ansehen. Eine derartig ernsthafte Darstellung schwieriger Abläufe im TS-Leben habe ich im Kino bisher noch nicht gesehen.

Sehr viel leichter geht es bei dem neuen Film über die Glitzerwelt der Modebranche in Paris zu: »Pret-a-porter«. Aufregende Kleider, hübsche Models, aber auch ein kurzer Blick in die Pariser TV-Szene. Dort erleben wir einen der eleganten Modeleute plötzlich in einem rosa Chanel-Kostüm beim kleinen Abendessen im Kreise anderer TV’s. Jetzt fällt es einem ein: die wasserstoffblonde Begleiterin hatte ja so emsig Pariser Modegeschäfte abgesucht – nun hatte sie für ihren Boss die komplette Damengarderobe zusammen. Praktisch.

Eine überraschende Nachricht kommt auch aus China. Der einzige Ballettänzer, der sich zuvor einen Namen gemacht hatte und dann ein überaus selten verliehenes staatliches Stipendium für ein Auslandsstudium erhielt, möchte ein neues Gebiet studieren. Als Jin Xing 1993 in die Heimat zurückkehrte, stand sein Entschluß fest: er wollte sich zur Frau umoperieren lassen. Während hunderte ähnlicher Wünsche bisher von den offiziellen Vertretern abgelehnt wurden, gab man bei Jin nach. Er hat bereits Brüste eingepflanzt bekommen, Haarentfernung erlebt und in diesen Tagen »die Operation« erfahren. Beamte des Kulturministeriums besuchten ihn im Hospital, um über seine weitere künstlerische Laufbahn zu verhandeln. Sein Kommentar: »Die Menschen sollen wissen, daß nichts im Leben unveränderlich ist. Immer gibt es ein »vielleicht«. Bravo Jin.

Ähnlich wie Jin dachten wohl auch zwei Fernseh-Komiker in Japan. Beide stellten sich als Kandidaten für Bürgermeister-Ämter vor und gewannen. Yukio hatte in einer Fernsehreihe in Tokio schon die Rolle der »vorlauten Großmutter« gespielt und von Knock Yokoyama gibt es Fotos von seinen Auftritten als Tänzerin. Er ist nun Bürgermeister in Osaka, wie sein Kollege es auch in Tokio geschafft hat. Was es nicht alles gibt!

So long für heute von

Rita/Bremen


Seite angelegt am 20.11.2004, zuletzt geändert am 01.09.2005.