Gelesen und gesehen – noch im April 1994

Beim letzten Mal stand eine Fernsehsendung im Mittelpunkt meines Textes. Diesmal möchte ich von einigen interessanten Publikationen berichten. So ist es sicher ungewöhnlich, dass beim kritischen »Magazin von Frauen für Menschen«, also der EMMA, eine Transsexuelle auf dem Titelbild zu sehen war (Ausgabe März/April 94). Und es ist die bekannte Journalistin Alice Schwarzer selbst, die das Dossier TS schrieb mit dieser Einleitung: »Transsexuelle sind Menschen, deren Seele ein anderes Geschlecht hat als ihr Körper. Ihr Konflikt zwischen Körper und Seele ist so groß, dass auch der Gesetzgeber seit 1980 die Anpassung des Körpers an die Seele erlaubt.« Auf den folgenden 19 Seiten findet man Gespräche mit Waltraud Schiffels (M zu F) und Veronika Thirolf (F zu M). Nachdrucke aus den Büchern von Schiffels, Marjorie Garber und Janice Raymond (The Transsexual Empire) sowie aus dem holländischen »Frauen in Männerkleidern«. Das Interview mit der Diseuse Georgette Dee rundet die Texte ab. Mein Eindruck: Insgesamt eine durchaus sympathische Interpretation von TS-Erfahrungen. Als eine erste Information für den nicht spezialisierten/informierten Leser gut geeignet.

Etwas umfassender wird man da schon durch das neue Taschenbuch von Gesa Lindemann über »Das paradoxe Geschlecht« informiert (Fischer TB 11734). Im November 1993 veröffentlicht, gibt der Untertitel genauer an, worum es bei dieser Soziologin vom Institut der FU Berlin geht: »Transsexualität im Spannungsfeld von Körper, Leib und Gefühl.« Darin finden sich die Ergebnisse von beratenden Gesprächen mit 15 TS durch die Autorin, wie auch mit weiteren 100 Betroffenen und Beteiligten. Die von der Autorin stark betonte »mikrosoziologische Perspektive« macht es dem nicht vorgebildeten Leser stellenweise schwer zu verstehen, wie sie ihre Bewertungen und Kriterien gewinnt und anwendet. Direkte Aussagen von den TS bringen in die ca. 300 Seiten etwas mehr Lebendigkeit und sind der Originalton im Buch.

Über die neuen Beziehungen von Mann und Frau wird überall viel nachgedacht und manches geschrieben. Aus Frankreich kommt dazu ein Beitrag mit der vielversprechenden Aussage, es gehe um die »androgyne Revolution«. Der Titel »Ich bin Du«, die Autorin: Elisabeth Badinter. Bereits seit 1987 in deutscher Sprache vorgelegt, ist es nun auch als Taschenbuch (und preiswerter) erhältlich. Verlag: dtv-TB-30 397. Ob dieser Band wirklich ein »außerordentlicher Denkanstoß« ist, wie französische Stimmen es behaupten, darf diskutiert werden. Aber hier sind viele Überlegungen zusammengefasst, die in der Grundsatzdiskussion zu hören sind. Dabei wird auch unterstrichen, was wir TV/TS-Freunde erfahren haben; dass nämlich das genetische Geschlecht nicht immer für ein ganzes Menschenleben prägend sein muss. Lange haben wir auch schon beobachtet, dass in der Szene eine Art »androgyner Kult« entstanden ist. Aber die Frage: wo geht es lang? – bleibt offen. es ist wohl eher die Unklarheit der neuen Rolle von Mann/Frau in unserer Gesellschaft, die da (auch für uns) Freiräume schafft. Beachtlich: 40 Seiten lang Fußnoten, plus 7 Seiten Biographie. Damit sei angedeutet, für welchen Leserkreis dieser Titel besonders interessant sein wird.

Zum Schluss noch leicht verdaulichere Kost. Der Titel: »Der Quotenmann«, ein kleiner Roman von Anna Dünnebier (Fischer TB-11779). Auf 170 Seiten wird geschildert, was passiert, als ein braver deutscher Beamte des Aufstiegs willen buchstäblich zu einer Quotenfrau wird und nun in Bonn zum Karriere-Höhenflug ansetzt. Dabei erfährt er manch neue Erkenntnis über Mann/Frau und wie es dann alles endet – das mag ich der geneigten Leserin gerne empfehlen!

So long aus Bremen

Rita


Seite angelegt am 20.11.2004, zuletzt geändert am 05.09.2005.