Gelesen und gesehen – Januar 1994

In diesen Wochen sind gleich zwei Filme in unsere Kinos gekommen, die vom gleichen Kulturkreis berichten, nämlich aus China und seiner berühmten Peking Oper. In beiden Filmen geht es jeweils um einen Opernsänger, der die Frauenrollen spielt (und singt). Doch damit hören auch schon die Ähnlichkeiten auf, wie jeder es wahrscheinlich erlebt hat, der im Kino gesehen hat: »M. Butterfly« und/oder »Lebewohl meine Konkubine«.

Besonders das zweite Werk hat einen begehrten Filmpreis in Cannes erhalten. Es malt in kräftigen Farben und dramatischen Szenen ein Epos, welches die kulturelle Entwicklung der Peking-Oper während ca. 50 Jahren schildert (1924 bis 1977). Politik und die Opernbühne sind der Hintergrund für die Erlebnisse eines armen Jungen, der nach qualvoller Vorbereitung und Ausbildung zu einem famosen Darsteller und zwar der Rolle der Konkubine wird. Doch diese Frauenrolle prägt zunehmend auch seinen Lebenswandel und führt dazu, daß er seinen männlichen Bühnenkollegen Duan wie eine »echte Frau« umwirbt. Das hohe Lied der Freundschaftsliebe wird durch eine Heirat arg strapaziert. Durchaus sehenswert, aber wegen der eher verhüllenden historischen Kostüme und der traditionell starken Schminke kommt die Frauendarstellung nur begrenzt der Realität nahe.

Das ist anders bei der schönen chinesischen Sängerin Song Liling. Sie betört und bezaubert jahrelang einen französischen Diplomat, der in Peking Dienst tut und täuscht ihm sogar vor, sie hätte ein Kind von ihm bekommen. Da sie in der Zeit der Kulturrevolution auch von der Partei den Auftrag bekommt, diesen Fremden auszuspionieren, hat diese Story (die auf einer wahren Begebenheit beruht) einige bizarre politische Akzente. Die Dame war nämlich ein Mann und setzt später sogar ihren Liebhaber in Frankreich unter Druck, bis es zur Verhaftung und Verurteilung für ihn kommt. Vor dem Hohen Gericht Frankreichs bekennt sie: »Er hat mich in all den Jahren nie völlig nackt gesehen. In dieser Hinsicht reicht die Butterfly natürlich nicht an die großartige Darstellung der Frau in dem Film »Crying Game« heran. Aber ich denke, man kann als TV Verständnis für den liebestollen Franzosen haben, der sich lange der Illusion hingibt, die seine Version der Madame Butterfly in sein Leben gebracht hat.

Vorausschau: Für Januar soll ein US Film in die Kinos kommen, der nach Vorankündigung »Mrs. Doubtfire – Das stachelige Kindermädchen« heißen soll. Es ist zu bezweifeln, daß dieser Film das Niveau von Tootsie erreichen wird. Es geht diesmal um einen arbeitslosen Stimmenimitator, der sich als Kindermädchen in den Haushalt seiner Ex-Frau einschleicht.

Gelesen habe ich in diesen Tagen einen höchst interessanten Lebensbericht, der vor allem für MzF-TS interessant sein dürfte. Dieses Buch wurde bereits 1907 veröffentlicht, wurde aber seither nicht mehr auf dem Buchmarkt gesehen. Es ist ein Reprint 1993 von der Edition Hentrich/Berlin. N.O. Body, so nennt sich mit einem Pseudonym der Verfasser. Er schildert unter dem Titel »Aus eines Mannes Mädchenjahren« den ersten Teil seines Lebens. Betreut von Dr. Magnus Hirschfeld ist es wohl der erste Bericht in Deutschland von einer derartigen Erfahrung. Durch einen chirurgischen Eingriff korrigiert, konnte er später als Mann sein Leben weiterführen. In einem kurzem Nachwort von 1907 stellt Hirschfeld die These auf:« Das Geschlecht des Menschen ruht viel mehr in seiner Seele als in seinem Körper.« Ein nachdenkliches Wort auch noch für unsere Tage bei allen Diskussionen über TV und TS, den Operationen und den Gesetzesvorlagen.

So long für diesmal. Weiterhin interessiert an relevanten TV/TS Zeitungsausschnitten u. ä. für das Bremer Archiv.

Rita/Bremen


Seite angelegt am 20.11.2004, zuletzt geändert am 01.09.2005.