Gelesen und gesehen – 1993

Diesmal stehen zwei Filme im Mittelpunkt der Neuigkeiten für 1993. Beide kommen aus England: »Orlando« und »The Crying Game«.

Beginnen wir mit der Verfilmung des feministischen Klassikers von Virginia Woolf, der seit Februar in den Kinos der Großstädte anläuft: »Orlando«. Es geht um einen Menschen, der in seinem 400-jährigen Leben vom Mann zur Frau, zum Mann und wieder Frau wird. Ein Zitat aus dem Spiegel dazu: Eine kräftige Hand zurrt an einem Mieder, zieht die Riemen enger, ruckt und zurrt an dem eingeschnürten Oberkörper. Eine andere Hand bindet Schleife um Schleife an einem Reifrock fest. Zwei Dienerinnen kleiden anno 1750 eine Dame an.

Die Dame betrachtet sich leicht verwundert und verschreckt im Spiegel. Zum ersten Mal in ihrem Leben wird sie wie ein Kleiderpaket verschnürt. Die Dame war vor kurzem noch ein Herr«(!).

Allerdings steht diese gewiß prickelnde Erfahrung einer großen Veränderung nicht im Mittelpunkt des Filmes. Er will wohl mehr die Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede der Geschlechter betonen. Alle Beobachter sind des Lobes voll über die Hauptdarstellerin, Tilda Swinton. Nach Meinung von Filmexperten mache ihre androgyne Schönheit diese Verfilmung überhaupt erst möglich. Zudem kann sich das Auge des Besuchers an dem Pomp der Kostüme aus mehreren Jahrhunderten berauschen – also sehen wir’s uns an.

Das wird beim zweiten Film jetzt kaum noch möglich sein – »The Crying Game« lief nur kurze Zeit in unseren Kinos. Man konnte dort Dil sehen, eine wirklich hübsche Farbige, die in einem Londoner Friseursalon arbeitete. nach der Arbeit taucht sie in ihrem Stamm-Pub auf und trifft dort eines Abends den auf der Flucht befindlichen Fergus, einen Freiwilligen der IRA. Man verliebt sich – es kommt zur Annäherung und Enthüllung – da erst merken wir es: Dil ist ein reizender Transvestit, aber mit seiner männlichen Genital-Ausrüstung. Das kann jedoch der unvorbereitete Liebhaber nicht ertragen, die neue Situation führt zu einer dramatischen Reaktion. Am Ende und mancher Ballerei kann Fergus nicht von der zarten Gestalt lassen. Schlußszene im Gefängnis: Dil kommt zu Besuch, sie will auch die 2.334 Tage bis zu seiner Entlassung auf ihn warten! Liebe siegt wieder einmal. Einige nette Szenen und die eindrückliche Figur von Dil.

Zum Schluß noch ein Taschenbuch, es liegt leider bisher nur in der englischen Sprache vor – kann aber in den einschlägigen Buchhandlungen erworben werden: Caroline Cossey – »Tula – My Story« (1991, Faber & Faber, 230 Seiten). Es ist die ehrlich geschriebene Autobiographie einer englischen TS (geb. 1954 in Norfolk). nach erfolgreicher kosmetischer Brust-Operation Versuch der Heirat. Auch nach Total-OP vergeblicher Versuch, die englische Justiz dazu zu bringen, die Eintragungen im Geburtsregister entsprechend des neuen Zustandes anzubringen. Da dies fehlschlägt, wird der Europäische Menschenrechtsgerichtshof eingeschaltet! Leider erfährt im Sommer 1990 Tula erneut die Ablehnung ihres Antrages. Dennoch bleibt der Leser beeindruckt von dem tapferen Bemühen der Autorin, ihr Leben so zu gestalten, daß auch die formale Anerkennung der Öffentlichkeit für ihren Weg erreicht wird. In Deutschland hätte sie es etwas leichter gehabt, was gesetzliche Bestimmungen angeht. Empfehlenswert. (Anm. der Red.: Tula ist mittlerweile nach Atlanta, USA gezogen und hat England den Rücken gekehrt.) Wer hat weitere Informationen über Filme und Bücher? Darüber würde sich freuen

Rita


Seite angelegt am 20.11.2004, zuletzt geändert am 01.09.2005.