Gelesen und gesehen – 1992

Fangen wir mit der zweiten dieser Aktivitäten an, so konnte man in diesen Wochen eine ungewöhnlich große Zahl visueller Eindrücke registrieren, die uns allen im TS- und TV-Bereich Freude bereiteten. Bildschirm und Kinoleinwand sind zu bedenken, aber nur von der Letzeren wollen wir berichten.

Auf vielen Kanälen war in diesen Tagen der »erste Transvestit Deutschlands, der das Bundesverdienstkreuz erhielt« zu erleben. Natürlich hat er es nicht erhalten wegen des sanftblauen Kleides und der netten Perlenkette, welche er mit schöner Regelmäßigkeit bei den verschiedenen Talk-Shows zeigte. Charlotte von Mahlsdorf wurde vielmehr immer wieder über den neuen Film befragt (»Ich bin meine eigene Frau«), der in diesen Tagen in mehreren deutschen Kinos angelaufen ist. Regie führte Rosa von Praunheim. In meiner Heimatstadt war er noch nicht zu sehen. Aber nach den Ausschnitten zu urteilen, die man in den Kino-Hinweissendungen des Fernsehens zu sehen bekam, wird der Film wohl kaum überbieten können, was Charlotte in ihrer sehr anregend und spannend geschriebenen Autobiografie bereits berichtet hat. Das Taschenbuch trägt den gleichen Titel wie der Film und ist in der »Edition dia« publiziert worden (Berlin 1992, ISBN 386034109X). Das energische Eintreten von Charlotte für die Schwulen und Lesben in der Ex-DDR wird nur noch überboten von ihrem energischem Kampf für die Erhaltung historischer Einrichtungen aus der Gründerzeit und sogar für die Erhaltung eines Schlosses. Eine beeindruckende Person!

Ebenfalls in unsere Kinos ist ein englischer Film gekommen, den sehr viel weniger Reklame begleitet hat. Dafür ist »Just like a woman« nach einem faszinierend lebensechten Bericht von Monica Jay gestaltet, die vor einigen Jahren, ohne es zu wissen, einen Transvestiten in ihre Pension aufnahm. Sie beschreibt dies in dem Buch mit dem Titel »Geraldine« und nach meiner Meinung ist daraus der schönste TV-Film des Jahres 1992 geworden. Er schildert die Erfahrungen des aufsteigenden Bankers Gerald, der sich nach einer wegen seines Transvestitismus gescheiterten Ehe seiner sympathischen Vermieterin Monica offenbart. Vor deren erstaunten Augen zeigt eine auch sonst sehr dezente Kamera die Verwandlung von Gerald in Geraldine. Mit Monica erlebt er wunderbare Tage – und Nächte. Ein Besuch in einem englischen TV-Club schließt sich an. Eines Tages passiert im nächtlichen London der Konflikt zwischen einer Polizeistreife und Geraldine (diesmal nicht in Begleitung von Monica). Alles scheint verdunkelt, er verliert auch seinen Job. Wie es zu einem tröstlichem Ende kommt, wird nicht verraten. Mein Vorschlag: jeder echte TV sollte sich diesen Film ansehen, selbst wenn er wohl in unseren Kinos nicht sehr lange laufen wird – wie ich vermute.

Auch auf dem Bücherregal finden sich einige interessante Dinge. Da ist einmal das schon genannte TB von Charlotte zu nennen. Dann kommt eine weitere Veröffentlichung von Waltraud Schiffels in die Läden. Sie ergreift immer stärker in der Öffentlichkeit Partei für die Transsexuellen. Der neue Titel lautet: »Frau werden – von Walter zu Waltraud« (Edition Ebersbach, Verlag eFeF, Dortmund).

Nicht ganz so ausgeglichen geschildert ist die Autobiografie eines deutschen TS – von dem allerdings kurioserweise der Verlag auf der letzten Buchseite mitteilt, daß die im Buch geschilderte Operation noch gar nicht erfolgt sei! Auf jeden Fall schreibt eine Alexandra – »Ich war ein Mann« (Hestia Verlag, Rastatt, 1992). Das erschütternde Schicksal einer Transsexuellen, die im Leben nie eine Chance bekam« – so faßt jedenfalls der Klappentext den Inhalt zusammen.

Interessanter – zumindest für die ständige Diskussion über den von TS einzuschlagenden Weg – ist vielleicht ein Buch von einer holländischen Autorin, Johanna Kamermans – »Mythos Geschlechtswandel« (edition hathor, Hamburg, 1992). Von der Autorin erfährt man, daß sie MzF-TS ist. Sie hat zweifellos sehr umfangreiches Material hier zusammengetragen auf den 384 Seiten des Buches. Sie kommt dabei zu der verblüffenden Überzeugung (als operierte TS!), daß man den chirurgischen Geschlechtswandel viel seltener durchführen sollte und tritt dafür ein, daß man den meisten Betroffenen zum »sozialen Geschlechtswandel« verhelfen sollte. Da hier nicht ein Mediziner oder Psychologe argumentiert, der von seinen Beobachtungen, Behandlungen oder gar seinen »Fällen« ausgeht, darf dieses Buch sicherlich uneingeschränkt unsere Aufmerksamkeit erhalten – selbst wenn wir dann dem Argument der Autorin nicht zustimmen können. Für den deutschen Leser sind manche Passagen etwas umständlich formuliert und lesen sich nicht so flüssig. Manche Informationen kommen in massiven Wiederholungen – aber es lohnt sich das Buch zu lesen.

Damit genug für diesmal. Der geneigte Leser/Leserin sind wieder aufgefordert, bei der Suche nach interessanten Sachen zum Sehen und Lesen mitzuhelfen…

Rita/Bremen


Seite angelegt am 21.11.2004, zuletzt geändert am 01.09.2005.