Christenheit und Transsexualität

von Erin Swensen, übersetzt von Laura.

Folgende Frage (eine von 52), wurde mir von dem Komitee, das daran dachte, meine Ordination als ein presbyterianischer Geistlicher abzuerkennen, 1995/96 gestellt: »Wie verantworten Sie, dass Sie ein Leben öffentlicher Täuschung im Widerspruch zur Heiligen Schrift und zu unserer Verfassung leben? – Dass Ihr Verhalten falsch ist und eine Ablehnung Ihrer Erschaffung? – Dass Ihr Verhalten Schande über die Kirche bringt und die ›Geringsten‹ beleidigt?«

Und dies ist meine Antwort:

Ich habe diese Frage bis zuletzt »aufgehoben«, weil ich denke, dass sie besondere Aufmerksamkeit verdient. Ich weiß aus anderen Gesprächen, dass dies vielleicht der Kern der Anschuldigung ist, die gegen mich von meinen presbyterianischen Brüdern erhoben wurde. Ich glaube, dass  ich diese Frage nicht nur für sie und die anderen, die sich diesen Anschuldigen anschließen, beantworten muss, sondern für die Kirche im Ganzen und insbesondere für mich selbst. Daher habe diese Frage zur »Mauer« gemacht, von der aus ich meine theologische Erklärung abgeben möchte.

Ich habe mit dem bösartigen Zorn gekämpft, der aus diesen Worten rinnt, und mich gefragt, aus welcher Quelle solcher Zorn fließt. Als ich mit den anderen Fragen in diesem Dokument gerungen habe, habe ich auch herausgefunden, dass ich mich selbst fragte, warum ich mich fühle, als ob ich mich mehr gegen eine existentielle Wut verteidige als gegen eine wirkliche theologische Argumentation. Ich erkannte den Zorn, denn es ist nicht nur der Zorn meiner Ankläger oder des Komitees oder der Kirche, sondern genauso mein eigener Zorn. Es ist, als ob diese Wirklichkeit, die vor dir steht, eine Wirklichkeit, die meine eigene Seele bedeckt, die Grundlage dessen, was wir glauben, völlig bedroht. Ich habe die besten Jahre meines Lebens damit verbracht, genug Energie aus mir herauszupressen, um als Ehemann, Vater und Geistlicher durchzuhalten gegen eine persönliche Wirklichkeit, die gänzlich unannehmbar zu sein schien nicht nur für andere, sondern auch für mich und ebenso für Gott. Es schien, als ob ich wirklich vom Himmelreich ausgeschlossen worden war, als ob Gott mit mir eine Art kosmisches Kunststück machte.

Dies konnte nicht wahr sein. Also gab ich enorme Mittel für Versuche aus, es nicht so zu machen. Ich unterzog mich nicht nur einer Psychotherapie, sondern wurde auch selbst ein Therapeut. Ich war so lange in Therapie, dass ich mich ehrlich nicht daran erinnern kann, wie das Leben ohne einen Therapeuten ist, der regelmäßig zu sprechen ist. Ich bezog andere in mein persönliches Ringen ein. Ich heiratete und glaubte, dass dies schließlich auf ein Bedürfnis in mir »geantwortet« hätte, und ich von meiner Geschlechtslast befreit würde. Es war nicht so. Ich ging dem nach, was als normales männliches Lebensmuster erschien, in der verzweifelten Hoffnung, dass so niemand in der Lage wäre, die schreckliche Wahrheit über mich zu erkennen. Ich wollte gegen alle Vernunft und gegen alles, was mir gut und richtig erschien, weiblich sein. Und mir fehlte Vertrauen zu meiner Gemeinschaft, vielleicht zu meinem Gott, dass sie in der Lage seien, mich aufzuziehen und mich zu erkennen in dem wie auch immer dunklen Tal, das ich zu bereisen schien.

So machte ich weiter und vergrub mich in Arbeit, Verantwortung und Depression, um mich vor der schrecklichen inneren Wahrheit zu verstecken. Ich arbeitete besonders hart daran, wie ein Mann zu leben und zu arbeiten, und ich hatte Erfolg. In meiner Anmaßung war ich sogar selbst davon überzeugt, dass ich die schreckliche Wahrheit über mich ein Leben lang würde bewahren könnte, dass ich mein Geheimnis mit ins Grab nehmen würde. Aber die Depression und Ablehnung begannen ihren Tribut an meiner Gesundheit und der Gesundheit meiner Ehe zu fordern. Ich verlor meine Ehe, nicht wegen meines Geschlechtsproblems, sondern wegen meiner Bereitschaft, die Wahrheit zu leugnen und deshalb meine Selbstachtung und die Achtung meines Partners zu zerstören.

Und so stehe ich jetzt vor Ihnen, verwirrt, dass ich ausgerechnet jetzt der Täuschung bezichtigt werde, wo ich unter großen Kosten die Erfahrung gemacht habe, dass ich mein falsches Leben beendet habe und mich selbst hingegeben habe, um im Licht der Wahrheit zu leben.

Die zentrale Frage, die wir uns alle zu stellen haben, ist also: Warum verursacht mein Vorschlag, dass die presbyterianische Kirche meine Transidentität akzeptieren möge, so viele irrationale Einwände? Einfach gesagt sehe ich den Grund darin, dass das Ringen der Ki5rche mit mir ihrem Ringen mit sich selbst entspricht. In einem gewissen Sinn hat auch die Kirche mit einer geschlechtlichen Änderung gerungen.

Ich muss demjenigen Komiteemitglied danken, das die Frage bezüglich der Heiligkeit der Geschlechtsorgane im Alten Testament stellte, denn diese eine Frage hat mir vor allen anderen geholfen, unser Ringen zu verstehen. Wie sie wissen, waren die männlichen Geschlechtsoprgane aus alttestamentarischer Sicht in einer Art und Weise heilig, die alle anderen Aspekte der menschlichen Biologie übersteigen. Die alten Hebräer fühlten – verständlicherweise – dass die Quelle des Lebens ausschließlich in diesem Teil der männlichen Anatomie enthalten war. Die Homunkulustheorie (Homunkulus: nach alchemistischer Vorstellung künstlich erzeugter Mensch) menschlicher Fortpflanzung hatte von der männlichen Samenflüssigkeit (von der sie fälschlicherweise annahm, dass sie aus den Hoden komme) die Vorstellung, dass sie ein kleines – in der Tat mikroskopisch kleines – menschliches Wesen enthielte, einen Homunkulus. Dieser Homunkulus wurde der Frau während des Geschlechtsaktes in den Schoß gelegt, um ihn sicher zu verwahren, während er von der Mutter genährt bis zu der für die Geburt notwendigen Größe heranwuchs. Selbstverständlich wurde die Quelle allen Lebens verehrt.

Und diese alte »wissenschaftliche« Ansicht passte gut in die stark patriarchalische Kultur, die zum Hebräischen gehörte. Männer wurden so zum Zentrum des hebräischem sozialen und religiösen Lebens. Frauen wurden im Großen und Ganzen nicht nur als zweitklassig, sondern tatsächlich als insgesamt von einer anderen Art betrachtet. In den alten patriarchalischen Kulturen, wo Frauen oft als Eigentum betrachtet wurden, war es üblich, sie als wertvollen Besitz zu betrachten, der von den Männern verwendet werden konnte. Aber die Bewegung weg von der heidnischen patriarchalischen Welt hatte schon begonnen. Beide, die priesterlichen, und jahwistische Schöpfungsgeschicht, die uns unsere hebräischen Ahnen weitergaben und im Buch Genesis aufgezeichnet sind, sagen etwas für ihre Zeit Radikales. Beide Geschichten stellen – auf verschiedene Art und Weise – Männer und Frauen nebeneinander, beide dadurch, dass sie sie gemeinsam behandeln, (»er schuf sie als Mann und Weib«), indem eine klare biologische Verbindung zwischen den Körpern von Männern und den Körpern von Frauen (Adams Rippe) hergestellt wird.

Gottes Volk hatte damit zu kämpfen, und zu Jesu Zeit wurden die vorherrschenden kulturellen und religiösen Einstellungen noch einmal mit Gott konfrontiert. Frauen, zuvor nur als geschätztes Eigentum betrachtet, das auf Wunsch des Eigentümers hinausgeworfen werden konnte, wurden jetzt als Menschen betrachtet, die der Achtung bedurften. Jeses betonte in seinen Auseinandersetzungen über die Scheidung immer wieder diesen Punkt. Als geistlicher Lehrer ist Jesu Freundschaft und Wertschätzung den Frauen gegenüber sogar noch tiefgreifender. Und trotz Paulus’ früher Lehren über das Familienleben zählte die frühe Kirche eindeutig Frauen zu ihrer Führung.

Heute, zwei Jahrtausende später, ringen wir noch immer mit dem Patriarchat. Sogar trotz unseres transidenten Selbst halten wir am höheren Status der Männer gegenüber den Frauen fest. Ich erfahre dies meist unbewusst, es wurde aber in meinem Übergang der sozialen Rolle vom Mann zur Frau sichtbar. Etwa in den ersten zwei Monaten, nachdem ich begonnen hatte, vollzeit in der weiblichen Rolle zu leben, hatte ich das Problem, dass ich zufällig mit anderen Menschen zusammenstieß. Zuerst dachte ich, dass es einfach eine Art des emotionales Schwindelgefühl war, weil ich mir zum ersten Mal in meinem langen Leben erlaubte, mich selbst voll auszudrücken. Aber mit der Zeit bemerkte ich, dass ich fast ausschließlich mit Männern zusammenstieß. Es erforderte viel Selbstanalyse, bevor ich merkte, dass sich Männer und Frauen im öffentlichen Raum unterschiedlich bewegen. Männer neigen dazu, direkt in Richtung ihres Ziels zu gehen, und Frauen neigen zu einer weitläufigeren Strecke. Einen Tag nach einem weiteren solchen Zusammenstoß – wieder mit einem Mann – merkte ich plötzlich, was geschieht: die Männer nehmen im öffentlichen Raum eine Vorrangstellung ein. Sogar die Männer, die mir Türen aufhalten würden oder mir erlauben würden, den Aufzug zuerst zu betreten, würden in mich laufen. Ich merkte, dass Männer die Vorfahrt haben! Und nachdem ich mich die meiste Zeit meines Lebens als ein Mann bewegt hatte, lief ich in der Öffentlichkeit einfach wie ein Mann, während Männer erwarteten, dass ich mich wie eine Frau bewegen möge. Daher stießen wir zusammen!

Mein ganzes Leben ist mit einem Ringen ausgefüllt gewesen – oft mit Gott – um den Unterschied, zwischen dem, wie ich aussah – wie ich von anderen behandelt wurde – und dem, was ich in mir fühlte.

Ich bin nun nicht so anmaßend zu glauben, dass Gott mich irgendwie geschaffen hat, transgendered zu sein, »um der Kirche eine Lektion zu erteilen«, aber ich glaube, dass uns Gott irgendwie einsetzt, um seine Absichten zu verwirklichen. Ich würde die Zeilen dieser in der Priesterseminarkapelle beliebten Hymne singen und völlig übersehen, die sie irgendwie nicht gerade zu meiner theologischen Bildung passen, und auch nicht zu meiner Transgender-Natur, von der ich weiß, dass ich sie in mir trage.

Ich habe mein ganzes Leben mit meinen eigenen patriarchalischen Gefühlen und Einstellungen gekämpft. Ich fand es beschämend, dass ich mich wie eine Frau fühlte und verzweifelt eine sein wollte. Ich wusste sicher, dass ich ein armseliger Außenseiter werden würde, wenn ich die schreckliche Wahrheit enthüllen würde. Und die Darstellung in den Medien von anderen mit meinen »Beschwerden« half nicht. Das waren nicht die Menschen, mit denen ich mich identifizieren konnte. Ich fühlte keine wie auch immer geartete Beziehung zu bizarren Prostituierten und nackten Tänzern.

Aber wie Sie wissen, hat Gott überall in der Geschichte die Menschen von diesem alten Mythos weggerufen, nach dem Männer und Frauen unterschiedliche Wesen sind und sich daher zutiefst unterscheiden. Gott hat uns immer wieder vom Vorurteil und der Unkenntnis weggeführt, deren Opfer wir alle sind, in die Richtung des Lichts der Wahrheit. Die Kirche, eine Institution, die stark durch ihr Patriarchat gekennzeichnet ist (obwohl sie die Braut Christi ist), hat eine Zeit betreten, in der die Kirche wahrlich mit ihrer eigenen Transidentität konfrontiert ist. Und mein Ersuchen, dass die Kirche meine Transgender-Realität einfach anerkennt, kommt zu einer Zeit, in der wir als die Kirche von unserer eigenen Transidentität (der der Kirche) verwirrt sind. Ich glaube übrigens nicht, dass sich die Kirche in Richtung eines Matriarchats bewegt. Wie ich an anderer Stelle gesagt habe, bin ich nie wirklich ein Mann gewesen, und ich weiß, dass ich nie wirklich eine Frau sein kann. Ich bin transgendered und werde immer so bleiben. Meine Hoffnung ist, dass auch die Kirche in der Lage sein wird, ihre Transgender-Natur zu erkennen und die Liebe Gottes zu uns Menschen vollständiger zu entdecken; nicht weil wir männlich oder weiblich sind (oder irgendetwas dazwischen), sondern weil wir alle Kinder Gottes sind.

So stimme ich grundsätzlich nicht überein mit der Behauptung, dass ich falsch bin und eine Quelle der Scham für das Volk Gottes. Ganz im Gegenteil glaube ich, dass die Wahrheit, in der ich lebe, eine Wahrheit ist, um deren Verstehen Gottes Volk ringt. Die Kirche, wie sie im Moment ist, mag nicht in der Lage sein, dieses zu erkennen oder zu schätzen. Dennoch verlangt es von uns allen, Gottes Willen herauszufinden, und so wird es geschehen.

Das Ergebnis von dies allem war, dass die presbyterianische Kirche des Größeren Atlanta meine Ordination durch eine geteilte Abstimmung am 22. Oktober 1996 aufrechterhielt (fortsetzte).

Erin Swenson,
Atlanta


Erin Swenson ist Pfarrerin der presbyterianischen Kirche in Atlanta, Georgia.

Veröffentlicht auf GenderWunderLand mit freundlicher Genehmigung von Erin Swenson. Das Urheberrecht für die Übersetzung liegt bei Laura. Der ursprüngliche Artikel in englischer Sprache stammt von http://www.drbecky.com/erin.html.

Seite angelegt am 18.09.2004, zuletzt geändert am 23.11.2006.